„DIE HARKE“ vom 21. Oktober 2014, Seite 17
Mittelweser. Martina Broschei (49) hat keine Geheimnisse mehr. Zumindest was ihren beruflichen Werdegang angeht. Alles stand im Internet: Ihre Bewerbung als Gleichstellungsbe- auftragte der Samtgemeinde Mittelweser, ihr Lebenslauf, das Zeugnis des bisherigen Arbeit- gebers, ihr Zertifikat als Mediatorin, ihre persönliche Anschrift, Geburtstag, Telefon, E- Mail-Adresse, Familienstand. Datenschutzrechtlich ist das höchst bedenklich. Vermutlich wäre es gar nicht aufgeflogen, hätte der Samtgemeinderat so zugestimmt, wie die Verwaltung empfohlen hat.
Die 49-Jährige aus Stolzenau ist die einzige Bewerberin für die ehrenamtliche Stelle der Gleichstellungsbeauftragten. Eigentlich sollte sie schon am 1. November ihren Job antreten. Das hat die Verwaltung der Samtgemeinde Mittelweser dem Samtgemeinderat empfohlen. Doch der Rat entschied am 1. Oktober anders. Die Stelle soll jetzt noch einmal ausgeschrieben werden. Die Ratsmitglieder wollen Vergleichsmöglichkeiten haben. Davon erfuhr Martina Broschei allerdings erst aus der Harke. Bis gestern hatte sie keine Absage von der Verwaltung. Nicht mal eine Entschuldigung.
Kommunalaufsicht reagierte sofort: Stopp im Internet
Die Harke hatte Broscheis Bewerbung auf der Homepage der Samtgemeinde Mittelweser gefunden. Als Harke-Redakteur Arne Hildebrandt Broschei frag- te, ob sie damit einverstanden sei, wäre sie am liebsten im Erd- boden versunken: „Ich falle aus allen Wolken. Dass meine Be- werbung alle Ratsmitglieder be- kommen, war mit klar, aber nicht die ganze Öffentlichkeit“, sagte sie.
„Fraglich ist, ob das mit dem Datenschutz vereinbar ist“, sagte Torsten Rötschke, Pressesprecher des Landkreises Nienburg auf Anfrage der Harke. „Persönliche Daten im Internet – das ist nur vertretbar, wenn Frau Broschei zustimmt.“ Die Kommu- nalaufsicht des Landkreises Nienburg reagierte prompt. Nur Minuten später war Broscheis Bewerbung im Internet gelöscht. Samtgemeindebürgermeister Bernd Müller räumt gegenüber der Harke eine Panne ein. „Es hätte nicht sein sollen. Das sollte nicht veröffentlicht werden. Wir gehen mit solchen Anlagen sehr sensibel um.“
Pikant auch: Martina Broschei musste sich in der öffentlichen Sitzung der Samtgemeinde Mittelweser am 1. Oktober in der „Niedersächsischen Botschaft“ in Landesbergen vorstellen. Die Fragen einiger Ratsmitglieder waren zum Teil sehr persönlich.
So wollte der CDU-Ratsherr Hans-Hermann Steinmann wissen, weshalb sie eigentlich ihren alten Arbeitgeber nach 27 Jahren verlassen habe, wo sie doch im sicheren Boot saß? Broschei war im Qualitätsmanagement eines Autozulieferers zuständig und Betriebsrätin. Mit anderen Worten: Da kündigt man doch nicht. Weshalb sie es aber dennoch tat, hat gesundheitliche Gründe. Sie sei schwerbehindert, berichtete Broschei, und brauchte eine Auszeit. „Es war ein tränenreicher Abschied.“ Darf man aber so eine Frage in einem Vorstellungsgespräch stellen, zumal in einer öffentlichen Sitzung? Verwaltungschef Müller hat kein Problem damit, dass Martina Broschei sich öffentlich vorstellen sollte. „Die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten ist von öffentlichem Interesse. Und es ist von öffentlichem Interesse, um welche Person es sich handelt. Die Vertragsinhalte sind ja im nicht öffentlichen Teil der Sitzung besprochen worden.“
„Als Piratin spreche ich an, was nicht in Ordnung ist“
Zwei Datenschutzbeauftragte des Landes wollten auf den konkreten Fall nicht eingehen, ohne alle Hintergründe zu kennen. Doch erste Reaktionen gegen- über der Harke sprachen eine deutliche Sprache: „Oh, oh, das sind sensible Daten.“ Torsten Rötschke schilderte der Harke, wie die Vorstellung der Kreis-Gleichstellungsbeauftragten lief: nicht öffentlich.
Die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten der Samtgemeinde Mittelweser ist Anfang des Jah- res in der Harke und auf der Internetseite der Samtgemeinde Mittelweser ausgeschrieben worden. Doch niemand bewarb sich. Das Stellenangebot blieb auf der Internetseite der Samtgemeinde. Schließlich bewarb sich Martina Broschei am 12. Mai und stellte sich am 13. Juni persönlich in der Verwaltung vor.
Im Internet ist die Stelle nach wie vor ausgeschrieben. Martina Broschei, die seit 2010 als selbstständige Mediatorin arbeitet, lässt nicht locker. Sie bewirbt sich weiterhin. Bro- schei will für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen kämpfen. Rund 15 Stunden im Monat plant sie dafür ein. 150 Euro soll sie dafür bekommen. Broschei ist auch politisch aktiv – sie ist Mitglied der Piratenpartei. Auf eine Entschuldigung wartet sie noch immer. „Es einfach auf sich beruhen zu lassen, ärgert mich.“ Sie hat erst einmal um ein Gespräch mit Samtgemeindebürgermeister Müller gebeten. Broschei: „Wenn Sachen nicht in Ordnung sind, spreche ich darüber – als Piratin mache ich das permanent.“